Aachen ganz in Ruhe – in der Innenstadt die Seele baumeln lassen
Trubelig ist die bei Einwohnenden wie Touris gleichermaßen beliebte historische Altstadt eigentlich zu fast jeder Tageszeit und an jedem Wochentag. Das führte mir im Sommer besonders ein literarischer Stadtspaziergang vom Literaturbüro Euregio Maas-Rhein vor Augen, den ich mit Texten begleiten durfte: An einigen Orten, die ich mir als Lese-Landmarken ausgesucht hatte, konnte ich kaum mein eigenes Wort verstehen. Umso überraschender dann die Ruhe unter einem Apfelbaum – mitten in der Stadt und doch ganz versteckt. Ihr sucht diese und weitere Ruheinseln in der Innenstadt? Psst – folgt mir einfach!
Bücher und Kaffee
Der Inbegriff von Ruhe? Sich mit einem guten Buch und einem Heißgetränk für eine halbe Stunde aus der Welt zurückziehen!
Mit literarischer Atmosphäre und delikaten Heißgetränken überzeugt das Literaturcafé Vers an der Barockfabrik: Hier kann geschlemmt werden (Kuchen, Quiche und natürlich hervorragender Kaffee und guter Tee) und gelesen, denn das Stöbern in der stetig wachsenden Präsenzbibliothek mit Büchern made in Aachen ist ausdrücklich erwünscht. An vielen Abenden locken abwechslungsreiche Literaturveranstaltungen, von der Autor*innenlesung zum Buchclub.
📖 Von der Muse geküsst? Wer tagsüber im Café zum Beispiel eine Ode an die Ruhe schreibt, kann sie am dritten Mittwochabend im Monat beim Lyriktreff vorlesen.
Wer das beim Kaffeetrinken angelesene Buch lieber gleich mit nach Hause nehmen möchte, kann in der Buchhandlung Artemis (siehe Fotos) stöbern, deren Sortiment überwiegend aus queeren Romanen und feministischen Sachbüchern in englischer Sprache besteht, die aber auch über ein gut kuratiertes deutschsprachiges Sortiment verfügt. Die liebevoll gestaltete kleine Buchhandlung erinnert selbst an das Setting eines „cozy“ Romans – auf Sitzgelegenheiten kann ausgiebig gestöbert werden, und Heißgetränke gibt es hier übrigens auch.
Entspannung im Wasser
Spaß im Spa – das soll schon Karl der Große in Aachen gehabt haben. Laut einem der „karlzentrischen“ Gründungsmythen hat das Pferd des großen Franken mit dem Huf eine heiße Quelle aus dem Boden gescharrt, woraufhin der Kaiser sich sagte: Hier lässt es sich aushalten – und zur Linderung seiner Alterswehwehchen ins Thermalwasser glitt. Natürlich wissen wir Öcher*innen, dass Aachen nicht erst im Frühmittelalter zum Badekurort wurde: Schon die Römer aalten sich hier in heißem Wasser.
Das ist auch heute noch möglich, natürlich in den Carolus Thermen, die übrigens von einer der heißesten Quellen Europas gespeist werden. Wer sich hier besondere Ruhe gönnen möchte, sollte unbedingt die weitläufige Saunawelt besuchen und dort bei kaltem Wetter in dampfenden Pools, an warmen Kaminen oder auf den Liegen im Leseraum entspannen.
Warmes Wasser hat die Elisabethhalle in der Innenstadt nicht zu bieten, dafür aber eine kleine Zeitreise: Seit 1910 baden Öcher*innen hier im Jugendstilbad – über den Flur gebietet Asklepios mit seinem heilkundigen Stab, über dem Schwimmbecken thront Neptun. Liebevoll ist alles erhalten, von den marmornen Umkleidekabinen über die schmiedeeisernen Gitter der Empore – bis hin zum zweiten, kleineren Schwimmbad für Damen, denn bis in die 1950er wurde hier geschlechtergetrennt gebadet. Heute ist das kleinere Schwimmbad für Schulklassen reserviert.
🕰️Wer in diesem ruhigen historischen Kleinod Bahnen ziehen will, sollte vorher einen Blick auf die Öffnungszeiten werfen – zurzeit ist die Elisabethhalle nur vormittags geöffnet!
Unter freiem Himmel
Die heißen Quellen sind nicht der einzige Europarekord, den Aachen hält: Der nördlich der Innenstadt gelegene Lousberg ist der erste von Bürger*innen initiierte Landschaftspark Europas. 1806 wurde der 264 Meter hohe Berg als Parkanlage bepflanzt. Sein Name kommt vermutlich von „lugen“, also schauen, weil man auf den zahlreichen lauschigen Spazierwegen einen wunderbaren Rundumblick hat. Zum Beispiel auf den Sonnenaufgang: Der Blausteinobelisk am Südostende des Bergs bietet Frühaufsteher*innen die schönste Sonnenaufgangssicht der Stadt.
🌇 Wer gute Aussicht auf den Sonnenuntergang sucht, findet den auf dem Aussichtspunkt Haarberg, von der Innenstadt aus sollte man dorthin allerdings den Bus nehmen!
Wer ein wenig Stadtflucht betreiben möchte, kann mit dem Bus zum Waldfriedhof fahren (gleichnamige Haltestelle) und dort zwischen Bismarckturm und Aachener Wald spazieren – vielleicht zum Abschluss an kalten Tagen noch ein Heißgetränk beim Forsthaus Schöntal oder dem Restaurant Bismarckturm? Wem die Ruhe dann doch zu viel wird, kann die neu aufgestellte „Mullebank“ benutzen, die der Senior*innenrat und die Stadt Aachen als Begegnungsstätte ins Leben gerufen haben (es gibt mehrere in Aachen, eine davon befindet sich mitten in der Parkanlage). Auf einer dieser mit einer Messingplakette gekennzeichneten Bänke Platz zu nehmen, signalisiert: „Setz dich zu mir, lass uns quatschen.“
Den lieben Gott einen guten Mann sein lassen
Die ruhigsten Orte schlechthin: Kirchen! Egal, ob gläubig oder nicht, Kirchen bieten allen, die sie suchen, Stille zum Durchatmen. Obwohl im Aachener Dom auf Ruhe geachtet wird, findet der Trubel der Innenstadt auch als Besucherstrom ins Oktogon – was natürlich nicht heißen soll, dass Ruhesuchende im Dom nicht gut aufgehoben sind. Aber wer beim In-sich-Hineinhorchen weniger Menschen um sich herum haben möchte, kann die Kirche St. Foillan (siehe Fotos oben und Titelbild) auf der anderen Seite des Münsterplatzes besuchen – übrigens die einzige Kirche in Deutschland, die nach dem in Belgien verstorbenen frühmittelalterlichen Heiligen aus Irland (oder Schottland) benannt ist. Ebenfalls bemerkenswert an St. Foillan: Die Kirche hat im 2. Weltkrieg großen Schaden erlitten und besteht nun auf der einen Seite aus älterer, auf der anderen aus Nachkriegsarchitektur.
🧘Die evangelische Kirchengemeinde Aachen hat Anfang 2025 zum ersten Mal einen Yoga-Gottesdienst in der Versöhnungskirche angeboten – ob dieses Konzept fortgesetzt wird, konnte ich allerdings noch nicht in Erfahrung bringen.
Das in der Einleitung angeteaserte versteckte Kleinod mitten in der Innenstadt verbirgt sich übrigens hinter Klostermauern: Schräg gegenüber der Elisabethhalle befindet sich das Kloster der Armen-Schwestern vom heiligen Franziskus, die auch nach ihrer Ordensgründerin Schervier-Schwestern genannt werden. Das Tätigkeitsfeld der Schwestern liegt in der sozial-caritativen Arbeit, so finden dort beispielsweise regelmäßige Mahlzeiten mit und für wohnungslose Menschen statt. Die kleine Kapelle des Klosters ist öffentlich, wer den Klostergarten mit herrlich ruhiger Sitzrunde um den Apfelbaum besuchen möchte, muss sich anmelden oder eine der Veranstaltungen besuchen, die die Schwestern anbieten – wie etwa Brotback-Seminare, Filmtage und Buchbindekurse.
Wenn das nicht alles gut geeignet ist, um zur Ruhe zu finden!
– Judith Vogt